Sperrklauseln und die Gefahr einer bedrängten Großen Koalition
Über die Klagen gegen die 3%-Klausel für die Europawahl, die Diskussionen im Landtag zu einer Sperrklausel bei den Kommunalwahlen 2014 und die Gefahr einer Großen 80%-Koalition, die ihr Machtmonopol gefährdet sieht.
1. Europawahl: Heute wird gegen 16:00 Uhr auf phoenix über die Klage der ÖDP und der Freien Wähler gegen die 3%-Klausel bei der Europawahl berichtet. Das ist schön. Denn viele Presseberichte titelten frech „Sperrklausel sinkt auf drei Prozent“ und beschränkten sich auf „NPD zieht vor das Bundesverfassungsgericht“, dabei klagen eine Reihe demokratischer Parteien und im Gegensatz zur NPD solche, die 2009 ohne Sperrklausel in das Europaparlament eingezogen wären – darunter ÖDP, Freie Wähler und die Piratenpartei – außerdem die Organisation Mehr Demokratie e.V. mit einer von über 1.000 Menschen unterstützten Bürgerklage.
Und „sinken“ ist nicht so recht das richtige Wort, denn nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes 2011 gab es gar keine Hürde bei Europawahlen mehr. Warum auch? Ein paar Parteien mehr stören im Europaparlament nicht und eine Regierungsbildung können sie auch nicht beeinflussen oder gar gefährden. Doch der Bundestag – Union, SPD, Grüne, FDP – beschloss die 3%-Klausel im Juni 2013 noch schnell im Eilverfahren und der Bundespräsident ließ sich etwas Zeit mit der Unterzeichnung, so dass erst jetzt dagegen vorgegangen werden kann.
Der Initiator der Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht, die zwischenzeitlich zum Wegfall der Sperrklausel führte, war Prof. Hans Herbert von Arnim und er führt nun auch die Klage von ÖDP und Freien Wählern.
Die Piraten haben sich nicht angeschlossen, aber mit der Unterzeichnung des Bundespräsidenten eine eigene Klage angestrengt, den Organstreit beim Bundesverfassungsgericht beantragt. Die Piratenpartei strebt ein Urteil noch vor der Europawahl im Mai 2014 an.
- Pressemitteilung „Piraten klagen gegen Drei-Prozent-Hürde bei Europawahl“
- Der Antrag der Piratenpartei als PDF
Nebenbei bemerkt: Sperrklauseln verhindern keine Rechtspopulisten, sie fördern taktisches Wählen nach folgendem Muster: Wer augenscheinlich keine Chance hat, wird benachteiligt; wer gerade laut ist und sich augenscheinlich der 4% nähert, bekommt unkontrolliert Protest- oder Leihstimmen. Zu beobachten bei FDP, Piraten, AfD und der Partei DIE LINKE. Das fördert nicht nur, aber auch, lautstarke Rechtspopulisten. Ohne Hürde würden eine Reihe dieser unfairen taktischen Spielchen und Beeinflussungen durch Umfragen wegfallen. [sagt jemand, der aufgrund der 5%-Hürde im Landesparlament sitzt]
2. Kommunalwahlen in NRW
Aus der SDP und CDU gibt es immer wieder Vorstöße, noch für die Kommunalwahlen 2014 in NRW wieder Sperrklauseln einzuführen. Im Landtag NRW führte dies zu unserem Antrag „Gegen Sperrklauseln – Verbot im Kommunalwahlgesetz verankern„.
Die Diskussion im Plenum verlief heftig. Die Videoaufzeichnungen kann man auf unserer Fraktionsseite anklicken, das Protokoll der Sitzung habe ich mir eben noch einmal angesehen.
Kostprobe gefällig?
Hans-Willi Körfges (SPD): „Ich halte es allerdings – vorsichtig ausgedrückt – für gewagt, nein, lassen Sie mich ein bisschen klarer werden, eher für unverschämt, denjenigen, die eine geringfügige Sperrklausel bei Kommunalwahlen einführen möchten, undemokratisches Denken zu unterstellen. (Beifall von der SPD und der CDU) [..] dass Tagesordnungen von Meterlänge es vielen Fraktionen und Gruppierungen, Einzelbewerberinnen und Einzelbewerbern, die in Räten sitzen, sehr schwer machen [..] Nur, je mehr Gruppierungen und Fraktionen dazugehören, umso größer ist doch der Druck auf den Einzelnen und die Einzelne, sich darstellen zu wollen. Ich weiß nicht, wann Sie das letzte Mal in einem Stadtrat mit acht, neun, zehn, elf Einzelgruppierungen oder Fraktionen anwesend waren. Das hat häufig etwas von „Und täglich grüßt das Murmeltier“, ritualisiertem Abbeten grundsätzlicher Kapitalismuskritik und ähnlichen Dingen mehr, je nachdem, mit wem Sie gerade zu tun haben,“
Peter Biesenbach (CDU): „Lassen Sie mich noch einige Zahlen nennen, die deutlich machen, warum der Ansatz einer moderaten Sperrklausel der richtige ist.
Schon das Ergebnis der Kommunalwahl 2004 war, dass wir in den Räten der Großstädte mindestens acht bis maximal 13 Fraktionen, Gruppierungen bzw. Einzelmandatsträger hatten. Wenn sie alle zu einem Tagesordnungspunkt reden wollen, ist der Nachmittag vorbei. [..] Wer Kommunalpolitik betreibt – viele von uns sind ja noch Kommunalpolitiker –, weiß, dass dabei nicht unbedingt sehr viel Gehaltvolles herumkam, sondern lediglich sehr viel Zeit verloren ging. Herr Kollege Körfges, in einer dpa-Mitteilung werden Sie auch mit den Worten zitiert, Sitzungen bis nach Mitternacht seien an der Tagesordnung und mit Beruf und Familie kaum noch zu vereinbaren.
Diese Einschätzungen teilen wir alle. Darum haben wir schon vor Monaten hier dieses Thema angesprochen und angeboten, nach einer Lösung zu suchen, die eine moderate Sperrklausel ermöglicht. [..]
Schon vor Monaten haben wir angefangen, anzubieten, darüber zu reden. Am 13. August 2013 lautete eine dpa-Mitteilung: „NRW-SPD erwägt Sperrklausel gegen zersplitterte Kommunalparlamente“. Auch daraufhin habe ich Ihnen sofort angeboten: Die CDU ist gesprächsbereit; wir machen mit. [..]
Herr Kollege Priggen, aus der SPD höre ich, dass in der SPD nach wie vor große Gesprächsbereitschaft besteht, was den Versuch angeht, noch für die kommende Kommunalwahl eine Sperrklausel einzuführen. Ein Weg wäre möglich. Der Weg könnte so aussehen, dass wir ganz kurzfristig – ohne fertigen Antrag – eine Anhörung durchführen, zu der wir namhafte Kommunalverfassungsrechtler einladen, damit sie uns einmal ihre Meinung vortragen, ob sie den Weg der Verankerung einer solchen Sperrklausel in der Verfassung mitgehen oder nicht. In der SPD höre ich Bereitschaft dazu. [..]
Noch einmal: Wenn Sie wollen, dass die kommunale Arbeit effizienter wird und schlanker ablaufen kann, dann lassen Sie uns doch kurzfristig das Gespräch suchen. Dazu brauchen wir keinen großen Antrag und kein Verfahren, sondern nur Gespräche mit Verfassungsrechtlern, die uns sagen, ob das geht oder nicht. Dann können wir kurzfristig entscheiden, ob wir gemeinsam eine solche Initiative starten oder nicht.
Das in eine Verfassungskommission zu packen und mit Anträgen zu regeln, heißt, alles bis 2020 zu verschieben. Wir und die Kommunalpolitiker aus der SPD ebenfalls – Ihre SGK will es ja auch – möchten bald eine Lösung. Wir können hier und heute einen Weg vereinbaren und finden. Ich bin wirklich ganz gespannt darauf, ob das tatsächlich gelingt. – Vielen Dank.“
Ich lasse das mal so stehen. Man muss das gar nicht weiter kommentieren.
3. Die Ganz Große Koalition
Nun stelle man sich vor diesem Hintergrund eine Große Koalition im Bundestag vor, die knapp 80% aller Abgeordneten umfasst, die also eine zur Verfassungsänderung notwendige qualifizierte Zweidrittelmehrheit auch mit zahlreichen Abweichlern locker zusammenbekommt.
Und dann das:
- Viele kleine und mittelgroße Parteien wollen mitmachen – und immer mehr von ihnen können mittelfristig womöglich auch die bestehende, hohe 5%-Hürde knacken.
- Gleichermaßen wird die 5%-Hürde zur Bedrohung für Sidekicks wie die FDP.
- Die Wähler wählen nicht mehr berechenbar, Wechselwähler nehmen zu.
- Nur eines ist sicher: langfristig schrumpfen die Prozente der Volksparteien.
Ich kann verstehen, wenn dabei in einer vierjährigen Ganz Großen Koalition Ideen entstehen, dem auf Kosten der Demokratie entgegenzuwirken. Aber ich muss auch befürchten, dass diese Ideen einen fruchtbaren Boden finden und hoffen, dass alle Menschen in diesem Land dies persönlich nehmen und wachsam sind. Das gilt auch für die vierte Gewalt im Staat. Ich möchte nicht am Ende lesen: „Neues Mehrheitswahlrecht lässt zur Bundestagswahl auch Einzelbewerber zu. Das erhöht die Chance kleinerer Parteien.“